Großbaustellen: Gold oder Krokodile

Elbphilharmonie, Flughafen Berlin-Brandenburg, Airbus A400M — es gibt zu jedem Thema kompetente Leute, die uns erklären, was, wann, wo, warum, wie schiefgelaufen ist und weshalb es länger dauert und mehr kostet. Natürlich kommt es stets und immer auf den Einzelfall an und um hierzu etwas sagen zu können, fehlt mir in allen Fällen das Detailwissen.

Aber es geht eben auch um das Prinzip und dazu kann ich etwas sagen.

In meinen Augen scheitern all diese Großprobleme nicht nur oder in erster Linie an den Detailteufeln in den jeweiligen Gegebenheiten.

Sie scheitern auch daran, wie der Staat, sprich: wir, Großaufträge vergeben. Unternehmen sagen: „Ja, machen wir zu diesen und jenem Preis.“ und schon bald sagen sie „Kostet doch mehr. Dauert doch länger. Kann doch viel weniger“ — und man lässt sie gewähren.

Ich finde, wir sollten Aufträge künftig nach dem Kleopatra-Prinzip vergeben. Ihr erinnert euch vielleicht an das schöne Asterix-Heft, in dem die ägyptische Herrscherin dem Baumeister Numerobis ein Angebot macht, das er nicht ablehnen kann: Gelingt ihm der Bau einer Pyramide in der vorgegebenen Zeit, wird er mit Gold überschüttet. Versagt er, wird er den Krokodilen zum Fraß vorgeworfen.

Warum nicht genau so verfahren?

Bei einem Großprojekt werden Anforderungen aufgestellt und ein großzügiger Preis veranschlagt. Jedes Unternehmen kann sich bewerben und dasjenige mit den besten Referenzen erhält den Zuschlag. Die Anforderungen werden in ein Vertragswerk gegossen und drakonische Vertragsstrafen für den Fall des Misslingens vereinbart. Zu guter Letzt müssen mehrere Projektverantwortliche oder Vorstände auf Unternehmensseite eine persönliche Bürgschaft unterzeichnen.

Klappt das Projekt, enthält es nur die zuvor einkalkulierten Risiken, bleiben Zeit und Kosten im Rahmen und entspricht am Ende alles den Anforderungen, dann wird das Unternehmen mit Gold überschüttet. Dann kassieren die Manager_innen fette Boni, dann klingeln die Kassen, dann gibts eventuell Gewinnausschüttungen für die Aktionäre und vielleicht gar den berühmten Schluck aus der Pulle für die Belegschaft.

Misslingt das Projekt allerdings, überweist der Staat keinen Cent und die Vertragsstrafe wird fällig. Das bedeutet in der Regel, dass das Unternehmen den Krokodilen zum Fraß vorgeworfen wird. Das Privatvermögen derjenigen, die gebürgt haben, wird gepfändet, höchstwahrscheinlich kommt es zu einer Insolvenz und Entlassungen.

Der Staat kann entweder das unfertige Bauwerk einem anderen Unternehmen zur Fertigstellung überlassen oder dem ursprünglichen Unternehmen einen Teil der Vertragsstrafe erlassen, wenn das Ding doch noch fertig wird.

So oder so bekommt der Staat im Falle des Scheiterns zwar nicht wie geplant ein fertiges Großbauwerk (oder ein neues Flugzeug oder was auch immer), aber er macht finanziell sogar Gewinn.

Ob die Allgemeinheit einen Gewinn machen würde, weiß ich nicht. Natürlich kann die Insolenz eines großen Unternehmens andere mit in einen Strudel ziehen. Im Grunde sind wir hier bei der Systemfrage angelangt. Natürlich gäbe es die Möglichkeit, staatliche Aufträge von Staatsunternehmen ausführen zu lassen. Ob das besser funktionieren würde, weiß ich auch nicht. Aber eines weiß ich: Halber Kapitalismus funktioniert nicht. Wenn Unternehmen, die einen Auftrag annehmen, zwar Gewinn davontragen können, aber wenig bis kein Risiko tragen, dann wird es eben allzu oft nichts. Siehe Elbphilharmonie, Flughafen Berlin-Brandenburg, Airbus A400M.

Also: Wenn Kapitalismus, dann bitte auch richtig. Gold oder Krokodile. Dazwischen sollte es für Unternehmen nichts geben dürfen.

Nicht auf Höhe der Debatte

Dass eine Bundesregierung ein vitales Interesse daran hat, loyalen Beamtennachwuchs heranzuziehen, ist vollkommen natürlich. Dieses Interesse schlägt sich selbstverständlich auch in der Auswahl des Lehrpersonals zukünftiger Funktionsträger nieder. Etwas anderes anzunehmen, wäre naiv. Somit muss man feststellen, dass Martin Wagener sicherlich nicht wegen seiner herausragenden fachlichen Kompetenz auf den Lehrstuhl für Internationale Politik an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung gelangt ist, sondern wegen seiner passenden politischen Gesinnung.

Behaupte ich zumindest mal.

In Wahrheit habe ich davon nur eine vage Ahnung*. Aber behaupten kann man viel und das tut genau in gezeigter Weise auch besagter Martin Wagener: Was auf den ersten Blick nach Argument und Erkenntnis aussieht, ist in Wahrheit nur dilettantisch getarnte Ätzkritik, hohle Polemik und Dogmatismus.

So jedenfalls in einem vorgestern in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (09.12.2013, Nr. 286, S. 7) unter dem Titel „Nicht auf Augenhöhe“ erschienen Beitrag.

Und dessen Stil hat mich aufgeregt.

Nicht so sehr der Sprachstil. Das ist ziemlich gewöhnliches Fachhochschulprofessorendeutsch. Das hat man schon weitaus schlimmer gelesen. Wer immer nur wissenschaftlich schreibt, kann sich eben nicht mit Journalist_innen und Bloger_innen messen. Sei’s drum.

Nein, ich meine den Argumentationsstil. Es gibt das nüchterne Unpersönliche. Texte, bei denen man hinterher gar nicht weiß, wo der Verfasser eigentlich steht; wo vor lauter Fakten die Meinung kaum zu sehen ist. Es gibt das ganz bewusst Subjektive. Kommentare, Essays und Blog-Posts. Da wissen die Lesenden, woran sie sind. Und leider gibt es noch etwas dazwischen und das kommt meist aus der rechten Ecke. Texte, die vorgeblich die einzig mögliche Ansicht verbreiten, manchmal recht geschickt ihre eklektische Argumentauswahl als die Trennung von Relevantem und Irrelevantem aussehen lassen, in Wahrheit aber nur eine Aussage haben: „Wir sind die Rechten. Wir haben Recht. Wer nicht denkt wie wir, ist dumm, naiv und rein ‚emotional bewegt‘.“

So denkt ganz offensichtlich Martin Wagener und von mir aus soll er auch so denken. Da werde ich ihn sicherlich auch nicht umstimmen können. Aber wenn er will, dass ich ihn als Diskussionspartner ernst nehme und nicht als gedungenen Meinungsknecht der Konservativen sehe, dann soll er ehrliche und offene Texte schreiben. Und nicht aus dem Hinterhalt seinen Gegner vorwerfen, was er selbst tut: emotional zu agieren. (Auf Seitenhiebe wie etwa den gegen Sozialpolitik gehe ich gar nicht erst ein.) Wenn er die Linke pauschal und begründungslos unter die unseriösen Parteien rechnet, verächtlich das „deutsche Bauchgefühl“ verspottet, den Gegner „hyperventilierend[es]“ Getue unterstellt, Gregor Gysis in einer „sicherheitspolitischen Phantasiewelt“ sieht und sich dann selbst zugutehält „die Debatte [zu] versachlichen“, ist das an Bigotterie kaum zu überbieten.

Kommen wir endlich zum Inhalt.

Wagener stellt zunächst drei Fragen, die er zu den „wichtigen Aspekten“ zählt. Seine erste: „Was genau können die amerikanischen Nachrichtendienste eigentlich?“

Er beantwortet das mit – grob paraphrasiert – „Man weiß es nicht so genau, aber man sollte nicht vorschnell alles glauben.“

Das mag die richtige Antwort auf eine falsche Frage sein.

Es ist nicht die Frage, was die NSA und andere überhaupt können. Es ist die Frage, was sie dürfen. Wenn sie das, was jetzt angenommen und diskutiert wird, gar nicht können – umso besser. Aber ich würde gerne – ja nennt mich naiv – in einer Welt leben, in der sämtliche staatliche Behörden so reglementiert und kontrolliert sind, dass sie keine milliardenfachen Grundrechtseingriffe vornehmen. Ob sie technisch dazu in der Lage wären, spielt keine Rolle.

Dann fragt Wagener, ob all das (was man eh nicht so recht weiß) überhaupt überraschend sei. Seine wenig überraschende Antwort: nein. Die USA seien die Hegemonialmacht, die setze sich nun mal über Recht und Gesetz hinweg und tue alles, was in ihrem Interesse liegt.

Dann frage ich Sie mal, Herr Wagener: Warum hat George Bush eigentlich keine Atombomben auf Afghanistan und den Irak geworfen? Das wäre effektiver, einfacher und schneller gewesen, hätte womöglich keinen einzigen Tropfen amerikanisches Blut gekostet und die beiden „Schurkenstaaten“ wären beseitigt gewesen. Also warum hat er das nicht getan?

Ich kann nicht in Bushs Kopf sehen. Ja, es mögen auch sicherheitsstrategische Überlegungen eine Rolle gespielt haben, aber größtenteils sehe ich die Antwort in einem Wort, das ihr Konservativen so gerne in den Mund nehmt: Werte. Ganz offensichtlich gelten auch für einen Georg Bush Tausende Menschenleben noch etwas. Ganz offensichtlich ist er so sozialisiert worden, dass man Millionen Unbeteiligter nicht einfach abschlachtet, wenn man die Möglichkeit dazu hat. Auch als Hegemonialmacht nicht.

Überrascht Sie das, Herr Wagener?

Mich nur bedingt. Mich überrascht und erschreckt auf der anderen Seite immer wieder, wie weit sich die verschiedenen US-Regierungen, die ja ganz offensichtlich doch gewisse humanitäre Grundsätze akzeptieren, von dem entfernt haben, was man den „westlichen Wertekanon“ nennt: Sie foltern, sie führen Angriffskriege, ignorieren Völkerrecht. Und sie spionieren uns alle aus.

Woran liegt das: Warum werfen US-Regierungen keine Atombomben ab, während sie Schuldige und Unschuldige ohne jede Achtung rechtsstaatlicher Prinzipien jahrelang in einem Militärgefängnis gefangen halten und speichern (wollen), was jeder Mensch zu jeder Zeit an jedem Ort gesagt und getan hat?

Es liegt eben daran, dass die Werte unterschiedlich stark verankert sind. Millionen Menschenleben sind ihnen etwas wert, Milliarden Privatsphären nicht. Und unter anderem deswegen führen wir diese Diskussion: Mit jedem Debattenbeitrag werden die Werte verschoben. Nicht messbar, aber in der Summe wirksam.

Doch fürs Grundsätzliche hat Wagener keinen Blick. Er denkt pragmatisch. Seine dritte Frage: „Über welche realistischen Handlungsoptionen verfügt die Bundesregierung in der NSA-Affäre?“

Wagener diskutiert drei Optionen: Abgrenzung, Aufrüstung und Durchwursteln.

Mit Abgrenzung meint Wagener nur vorsichtige Abgrenzung. Für Wagener wäre es der „schlimmste Fall“, wenn die USA ihre Truppen aus Deutschland abzögen und uns ihren „nuklearen Schutzschirm“ für Deutschland aufkündigen würden. Dass deutsche Panzer übermorgen zusammen mit französischen, russischen und chinesischen vor dem Weißen Haus stehen könnten, ist für ihn anscheinend völlig undenkbar. Bündnisse können sich sehr schnell ändern. Das lehrt nicht zuletzt die Geschichte. Und für die Entscheidung darüber, wer unsere Verbündeten in nächster Zeit sein sollten und wer nicht, ist die Frage, wer wie mit unserer Freiheit und Privatsphäre umgeht, von großer Bedeutung. Ich will keinen Dritten Weltkrieg. Aber entschlossenes europäisches Handeln – geeint durch einen gemeinsamen Feind – könnte viel ändern und Hegemonial-Zustände schneller ändern, als es sich so mancher vorstellen kann.

Für Wagener alles offensichtlich undenkbar. Von Phantasie, Weitsucht oder auch nur einem Gespür für die Diskussion zeugt sein Beitrag keineswegs. Seine Axiome verraten nichts als Dogmatismus.

„Da die Fähigkeiten der Bundeswehr wie auch jene des Bundesnachrichtendienstes begrenzt sind, muss sie auf ausgleichende Maßnahmen der Vereinigten Staaten setzen.“

Warum denn? Welche „ausgleichenden Maßnahmen“? Und warum gerade die der Vereinigten Staaten? Und wofür brauchen wir den BND überhaupt?

Dass heutzutage munter lebhaft über die Existenzberechtigung von Geheimdiensten diskutiert wird, geht an Wagener völlig vorbei. Sein einziger Lösungsansatz in der Sicherheitspolitik: „mehr von allem“!

Dementsprechend wenig überraschend seine zweite Option für die Bundesregierung. Sie lässt sich etwa so beschreiben: Deutschland rüstet „sicherheitspolitisch“ kräftig auf (das will Wagener eh), ist dann – zumindest annähernd – auf Augenhöhe mit den USA und handelt dann folgenden Deal aus: „Ihr hört auf, unsere Regierung zu überwachen. Dafür helfen wir euch, den Rest der Welt zu auszuspionieren.“

Das wenige, was für uns in Wageners Denken noch unklar war, offenbart sich jetzt: Überwachung ist für ihn gar kein Problem. Privatsphäre, Freiheitsrechte, informationelle Selbstbestimmung aller Menschen finden in seiner Argumentation nicht statt. Weder am Anfang, als er „drei Diskursstränge“ (Entsetzen, Aufklärung, Konsequenzen) ausmachen will, noch in seinen Schlussfolgerungen. Am Ende nämlich verleiht er seiner Hoffnung Ausdruck, die US-Regierung möge die richtigen Konsequenzen ziehen:

„Dazu sollten gehören: Zeigt mehr Respekt für befreundete Nationen! Sorgt dafür, dass Geheimnisse solche bleiben! Verhindert, dass Verbündete durch Geheimnisverrat vorgeführt werden! Und managt die nächste Krise etwas weniger dilettantisch!“

„Mehr Respekt!“, nicht etwa: „Hört endlich auf damit, alles und jeden zu überwachen!“ Und damit nicht genug des Zynismus. Der Rest lässt sich etwa so wiedergeben: „Ja, natürlich dürft ihr überwachen (Bitte, bitte, bitte lasst uns mitmachen!), aber tut das bitte so, dass es niemand mitbekommt! Sonst gibt es nur eine unnötige Unruhe unter den Schäfchen!“

Wagener formuliert am Ende noch ein paar Forderungen: mehr Geld für Bundeswehr und Nachrichtendienst, keine Zivilklausen an Universitäten und dergleichen mehr.

Fragt sich nur: Wofür eigentlich? Wofür brauchen wir denn, Herr Wagener, diese Sicherheitsarchitektur, wenn sie zum Schutz der Bürger_innen unseres Landes vor dem Eindringen fremder Mächte und zur Verteidigung der deutschen Sicherheit gar nicht dient? Wenn die Feinde unserer Freiheit munter ihre Truppen bei uns stationieren dürfen und es in Ihren Augen der „schlimmste Fall“ wäre, wenn sie damit aufhören, wofür bitte brauche ich dann einen Sicherheitsapparat? Wenn die nur zusehen, wenn ich angegriffen werde? Und das werde ich. Digital tagtäglich.

Aber in Ihren Augen, Herr Wagener, dienen alle „Sicherheitsbehörden“ ja nur den Interessen der Regierung. Und nicht den der Bürger. Alles andere ist ja naiv, emotional, hyperventilierend, Phantasie.

* Zur Lektüre empfohlen: Werner Schmidt-Hieber, Ämterpatronage in Verwaltung und Justiz, in: Korruption. Netzwerke in Politik, Ämtern und Wirtschaft, hg. von Hans Herbert von Arnim (München 2003) S. 84-95.

Die Smartisierung der Alltagstechnik

Meine LED-Stirnlampe funktioniert ziemlich simpel. Sie hat einen Knopf und drei Leuchtmodi: Einmal Drücken heißt kräftiger Strahl, zweimal hast schwacher Lichtstrahl, dreimal heißt Blinken. Und ich glaube nicht, dass sich dieses Bedienkonzept demnächst radikal ändern wird. Die Revolution findet woanders statt.

Handys hat es schon lange erwischt, die klassische Brille zittert schon um ihr Dasein und aktuell stehen Uhren in der Schusslinie.

Die Smartisierung kommt.

Auch ich trage eine Armbanduhr, wenn ich außer Haus bin. Schlichtweg deshalb, weil ich mich sehr gerne, oft und sekundengenau über die Uhrzeit informieren will. Das ist mir per Handy zu umständlich: Smartphone aus der Tasche holen, Schützhülle wegklappen, anschalten, draufsehen, ausschalten, Schutzhülle zuklappen, in die Tasche stecken. Zuviel Aufwand.

Jetzt kommen die Smartwatches. Aber die sind irgendwie keine so richtige Armbanduhr.

Die können eine Menge, aber eines geht auch nur mit Aufwand: die Uhrzeit ablesen. Je nach Modell muss man dafür Gesten ausführen, auf Knöpfe drücke oder Sonstiges tun.

Damit ist der einzige Nutzen einer Armbanduhr perdu.

Auf meine Armbanduhr kann ich oftmals sogar sehen, wenn ich beide Hände voll habe, ich kann sie ganz unauffällig am Arm nach vorn schieben und dann aus dem Augenwinkel im Gespräch darauf sehen, ohne dass es meinem Gesprächspartner großartig auffällt.

Wenn ich einen Vortrag halten muss, nehme ich meine Armbanduhr manchmal ab und lege sie vor mich neben das Manuskript aufs Lesepult.

Und die Batterie hält viele Monate.

Ich bin alles andere als ein Technikmuffel. Aber wenn durch die Versmartisierung der Alltagstechnik deren eigentlich Sinn wegfällt, muss ich sagen: Da läuft etwas schief. Unbefleckt von jeder Sachkenntnis stelle ich mir vor, dass es kein Ding der Unmöglichkeit wäre, eine Uhr mit zwei übereinander gelagerten Displays zu bauen. Das untere zeigt immer die Uhrzeit und vielleicht noch ein oder zwei Kontrolllämpchen. Dieses Display wird separat mit Strom versorgt und hat einen Akku, der mehrere Wochen hält. Darüber liegt das eigentliche Smartphone-Display. Farbig, hochauflösend, berührungsempfindlich und dafür energiehungrig. Das wird nur auf Knopfdruck aktiviert.

So stelle ich mir die Zukunft unserer Alltagstechnik vor: Das Simple und Nützliche bleibt erhalten, das Smarte kommt dazu.

Vielleicht bekommt meine Stirnlampe vielleicht mal einen zweiten Knopf: Mit dem kann man dann Lasershows in den Nachthimmel projizieren, Morsecodes absetzen und den Balzruf eines Kakadumännchens imitieren.

Alles sehr schön. Solange der erste Knopf dableibt.

„Diskriminierend“ oder „nicht-diskriminierend“ – das ist nicht die Frage.

Wikipedia definiert „Diskriminierung“ wie folgt:

Diskriminierung bezeichnet eine gruppenspezifische Benachteiligung oder Herabwürdigung von Gruppen oder einzelnen Personen.

Diskriminierung gibt es in (nahezu) allen Bereichen menschlichen Zusammenlebens. Ich will jetzt nur zu einem etwas schreiben: die Sprache.

Zu diesem Thema ist schon ziemlich viel digitale und analoge Tinte vergossen worden, aber ich habe bei dem, was ich dazu gelesen habe, den Eindruck, dass noch nicht alles gesagt ist. Der Kern des Problems ist meines Erachtens noch nicht erkannt.

Das punctum saliens ist keineswegs die Frage: „Ist dieses oder jenes sprachliche Phänomen diskriminierend?“ oder „Wer bestimmt eigentlich, was diskriminierend ist und was nicht?“

Nehmen wir ein Beispiel: „Mohrenkopf“. Platt ausgedrückt ist die Logik des Wortes folgende: „Diese süßen Dinger sind dunkelbraun. Es gibt Menschen, die sind auch dunkelbraun, also nennen wir das Gebäck nach den Menschen.“

(Klammer auf. Vielleicht ist die Logik auch eine andere: Schauen wir uns das Objekt selbst doch einmal näher an. Unter einer Schicht aus zumeist dunkelbrauner Schokolade verbirgt sich ein Kern aus Zuckerschaum. Und der ist weiß. Hat schon mal jemand darüber nachgedacht, dass dem Wort „Mohrenkopf“ folgender Gedanke zugrunde liegen könnte: „Dieses Gebäck ist außen braun und innen weiß. Das ist genauso wie mit dem Mohren. Die haben zwar eine dunkle Haut, aber unter dieser dünnen Schicht sind sie genau dasselbe wie wir. Nämlich weiß.“ Wenn das aber so (gewesen) wäre, müsste man sich fragen, ob dieser Gedanke völkerverbindend und undiskriminierend wäre (Motto: „Alle Menschen sind gleich!“) oder gerade besonders diskriminierend, weil in dieser Benennung Weiß-Sein zur Norm erhoben würde. Aber ich glaube selbst nicht recht, dass das der Gedanke ist, der zur Wortbildung „Mohrenkopf“ führte. Daher: Klammer zu.)

Das Worte wäre nicht viel besser, wenn es „Dunkelhäutigenkopf“ oder Ähnliches hieße. Aber der Bestandteil „Mohr“ macht es natürlich nur umso schlimmer. (Man  kann sich natürlich fragen, ob die diskriminierende Komponente irgendwann in Vergessenheit geraten kann. „Mohr“ ist nicht mehr allzu gebräuchlich und ich lernte als Kind definitiv früher, was ein „Mohrenkopf“ ist, als, was ein „Mohr“ ist.)

Also weg mit dem Wort.

Aber ist es damit getan?

Nein.

Und damit meine ich nicht, dass die Alternative, die sich die Werbeindustrie ausgedacht hat, einfach nur schrecklich ist: „Schokokuss“? Im Ernst? Die glauben, ich nenn die Dinger „Schokokuss“? Könnte man nicht wenigstens, analog zum „Salatkopf“ den Kopf behalten? Schaumkopf wäre erträglicher.*

Nein, das Problem ist: Wir als Sprachgemeinschaft können gar nicht auf alle Wörter verzichten, die diskriminierend sind.

Mein Lieblingsbeispiel ist das Wort „Scheiße“. Man gebraucht es gerne als Fluch oder Kraftausdruck. Das ist niedrigstes Sprachniveau, gewiss. Aber dieses gängige Wörtchen gilt – zumindest meines Wissens – nicht als diskriminierend oder ausgrenzend gegenüber gewissen Minderheiten.

Dabei sollte es das — dächte man an unsere koprophilen Mitbürger_innen.

Ja, genau an die. Die hatte im Zusammenhang mit diskriminierender Sprache bislang nämlich niemand auf dem Schirm.

Unter Koprophilie versteht man laut Wikipedia „den sexuellen Lustgewinn durch menschlichen Kot bzw. dessen Ausscheidung“.

Könnte es nicht sein, dass Menschen sich diskriminiert und beleidigt fühlen, wenn das, was ihnen höchste Lust verschafft, als Synonym schlechthin für alles Negative in der Welt gilt? Wenn ihr Fetische zum Fluch benutzt wird?

Ich kann mir das schon vorstellen.

Trotzdem fordert kein Mensch (auch ich nicht), auf das Wort „Scheiße“ zu verzichten.

Und warum? Weil das Wort unter dem liegt, was ich als „Diskriminierungsschwelle“ bezeichnen will. Es mag sein, dass sich eine Minderheit von einem Wort und seinem Gebrauch beleidigt fühlt. Aber, da muss man ehrlich sein, diese Minderheit hat dann halt Pech gehabt.

Eine Sprachgemeinschaft kann genauso wenig wie jede menschliche Gesellschaft immer überall und in jedem Fall auf die Belange aller Einzelnen eingehen und Rücksicht nehmen. Das funktioniert in meinen Augen nicht.

Die Frage darf also nicht sein: „Ist dieses Wort diskriminierend?“, sondern „Liegt es über der Diskriminierungsschwelle?“

Nochmal: Wir können nicht auf alle Rücksicht nehmen und auf wen wir Rücksicht nehmen, muss in einer Gesellschaft ständig neu verhandelt werden. Und das sollte in meinen Augen offen und ehrlich passieren.

Ein Kriterium und wichtiges Argument wäre sicherlich: Liegt im fraglichen Wort nur eine möglicherweise gar nicht intendierte Bedeutungsnuance vor, die diskriminierend verstanden werden könnte? (Wie im Beispiel „Scheiße“) Oder liegt einem Wort ein Gedanke zugrunde, der sich in mehr äußerst als nur in diesem einen Wort, der Ausgrenzung  und Diskriminierung einschließt und befördert? Genau darin liegt ja das Problem vom „Mohrenkopf“: Es gibt leider, leider Rassismus. Und der ist alles andere als harmlos.

Die Koprophilen haben demgegenüber wohl das bessere Los erwischt und müssen nunmal mit der Scheiße leben. (Pun intended.)

Es macht einen Unterschied, ob sich in einem Wort ein Irrsinn widerspiegelt, der viele Menschenleben gekostet hat und noch immer kostet. Dann müssen wir es verbannen.

Aber es geht nicht darum, alles aus der Sprache zu fegen, was irgendwie, irgendwann gegen irgendwann als diskriminierend angesehen werden könnte. Das geht nicht. Das funktioniert nicht.

Es geht darum, ehrlich darüber zu diskutieren, was als problematisch angesehen wird und was nicht.

Es gibt genügend diskriminierende Wörter unterhalb der Diskriminierungsschwelle. Dazu sollte eine Gesellschaft stehen. Damit sollte sie ehrlich umgehen und die Gründe benennen, warum das eine aus dem Sprachschatz gefegt werden soll und das andere nicht.

Denn für eine Gesellschaft gilt: Du bist, was du (nicht) diskriminierst.

* Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich hänge ästhetisch überhaupt nicht am Wort „Mohrenkopf“. Mich erinnert es schon immer zu sehr an „Mohrrübe“. Die mag ich zwar auch, aber es ist einfach etwas völlig Anderes.
Aber wenn man schon eines Wort kreieren muss, könnte es wenigstens ein brauchbares sein. Und da ist alles besser als „Schokokuss“.

Fehler und Verhalten. Ein offener Brief an Norbert Lammert

Sehr geehrter Herr Lammert*,

ich schätze Sie persönlich. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind, halte ich Sie für eine integre Figur, einen Menschen mit Prinzipien und Rückgrat. Und einen unabhängigen Geist.

Jetzt gibt es Plagiatsvorwürfe gegen Sie und Ihre Dissertation. Und damit eine neue Situation für mich: Erstmals steht ein Politiker unter Plagiatsbeschuss, für den ich gewissen Sympathien hege.

Zugleich aber ist es eine alte Situation: Das eigentlich Entscheidende wird in der Öffentlichkeit fast nicht diskutiert. Während die Causa Guttenberg klar wie Quellwasser war, war schon Schavan ein Zweifelsfall. Es wurde allerdings kaum darüber geredet, ob das, was sie getan hat (nämlich nicht als solche markierte Sekundärzitate) in Ordnung ist oder nicht.

Und das war zu einem großen Teil die Schuld der ehemaligen Bildungsministerin.

Statt sich inhaltlich zu rechtfertigen sagte sie in der Öffentlichkeit stets lediglich zwei Dinge:
1. „Die Uni ist schuld! Geheimnisverrat! Parteiisch! Ich will unabhängige Gutachter!“
2. „Viele renommierte Wissenschaftler sagen, dass ich nicht plagiiert habe.“
Derailing und ein Strohmann-Argument. Inhaltlich hat sich Schavan nie geäußert. Das und vor allem das nehme ich ihr übel.

Herr Lammert, machen Sie das bitte besser!

Was ich bislang von Ihnen gehört habe, klingt leider nicht allzu vielversprechend: „Ich habe meine Doktorarbeit nach bestem Wissen und Gewissen angefertigt.“

Schön. Und jetzt?

Was ich von Ihnen (wie zuvor schon von Schavan) hören will, ist: „Ich habe auf S. sowieso meiner Dissertation in Fußnote xy das und das geschrieben, weil… Ich halte das aus diesen oder jenen Gründen für legitim.“

Ganz ehrlich: Mir sind noch so hanebüchene Erklärungen – „Der Hund hat meine Exzerpte gefressen!“ – lieber als gar keine.

Ich selbst verfüge über praktische Erfahrungen im Disserations-Schreiben. Ich weiß, wie groß die Versuchung ist, schwierige Texte zu referieren, die man gar nicht gelesen hat, indem man sich heimlich auf andere stützt, die (angeblich) das komplizierte Zeug durchdrungen haben.

Ich habe der Versuchung immer widerstanden. Sie offensichtlich nicht.

Man kann durchaus darüber diskutieren, ob das ein schweres Vergehen ist oder ob sich das mit „Ich war jung und brauchte den Titel“ entschuldigen lässt.

Aber bitte, bitte, bitte, Herr Lammert – stellen Sie sich der Diskussion!

Geben Sie ein klares Statement ab, verteidigen Sie sich Punkt für Punkt und verstecken Sie sich nicht hinter Claqueuren und Formalitäten!

Vielleicht können Sie dann Ihren Titel behalten.

Herzliche Grüße,

Ihr anonymer Blogger Schneeschwade.

 

* Dass ich nicht „Dr. Lammert“ schreibe, hat nichts mit einer Vorverurteilung zu tun. Offene Briefe schreibt man nicht mit akademischen Titeln. Das steht so im Handbuch.

Sport

Und nun zum Sport.

Dazu gibts momentan zwei Meldungen – Jan Ulrich gesteht ein bisschen Doping; in Brasilien sind viele mit der WM und vielem anderen unzufrieden – aber mir gehts heute weder um Doping (dazu vielleicht ein andermal) noch um Korruption in Brasilien (davon hab ich keine Ahnung). Mir gehts heute um etwas Grundsätzliches.

„Möge der Beste gewinnen“, heiß es immer.

Und wer ist beim Sport der oder die Beste?

Recht eigentlich ist das doch, wer
a) die passenden körperlichen Voraussetzungen für die jeweilige Sportart mitbringt
b) über etwas diffuses wie „Talent“ verfügt
c) am besten und härtesten trainiert hat.

(Und natürlich kommt noch das berühmte Pfund Glück dazu.)

Klingt eigentlich selbstverständlich. Ist aber nicht so.

Es bekommen Hunderte von Menschen olympisches Gold, die im Grunde keine Chance darauf haben dürften.

Warum?

Weil es – ziemlich willkürlich – so etwas wie „Klassen“ im Leistungssport gibt. Und damit meine ich nicht Altersklassen (über deren Sinn kann man auch diskutieren), sondern einerseits die Geschlechtertrennung und andererseits Paralympics und Konsorten.

Ein 1,55m großer Mann wird nie Basketballprofi werden und eine 1,90 große Frau keine Eiskunstläuferin. Und andersrum auch nicht.

Das ist nun mal so, damit müssen sich alle abfinden, das ist Sport.

Was kein Sport ist, ist willkürliches Aussortieren nach Dingen wie „Geschlecht“ oder gar „Behinderung“. Im Prinzip sagt man damit doch Frauen und Behinderten: „Ihr seid nicht gut genug, euch mit den ‚Richtigen‘ zu messen, ihr bekommt eine Nische, in der ihr euch austoben dürft und auch ein bisschen Aufmerksamkeit bekommt.“

Das ist Othering in Reinform.

Konsequent, aber undurchführbar wäre es, eigene Klassen für alle zu schaffen: Für alle, die körperlich untauglich für eine Sportart geboren wurden, aber nicht nach gängiger Definition als „behindert“ gelten. Dann gäbe es den 100-Meter-Lauf in der Gewichtsklasse der über 150kg-Schweren, Sumo-Ringen für Untergewichtige.* Und natürlich Dressurreiten für Pferdehaar-Allergiker (mit Pferden, die vorher in Plastikfolie eingepackt werden).

Klingt absurd?

Wäre aber genauso absurd wie die Situation heute.

Wer für eine Sportart mit den falschen körperlichen Voraussetzungen geboren wurde, hat eben Pech gehabt. Aber statt das einzusehen, schaffen wir für manche der „Benachteiligten“ eigene Klassen und zeigen ihnen damit erst recht, wie benachteiligt sie sind.

Den abfälligen Spruch „ganz großes Damentennis!“ hab ich schon öfter gehört. „Ganz großes Herrentennis!“ noch nie. Über Vorurteile gegenüber Frauenfußball ganz zu schweigen.

Woran liegt das? Das liegt daran, dass Frauensport nicht für voll genommen wird.

Und in gewisser Weise zurecht. Weil Sport mit Geschlechtertrennung die entscheidende Voraussetzung für einen Wettkampf fehlt: Statt der Allerbesten treten nämlich immer nur manche an. Die, die in irgendein seltsames Raster passen.

Zum 19. Jahrhundert, als die „olympische Idee“ geboren wurde, passte Geschlechtertrennung im Sport. Auch gerade aus „sittlichen Gründen“. Ins 21. Jahrhundert passt sie nicht.
Zumindest nicht im Leistungssport. Im Freizeitsport solle alle machen, was sie wollen, und Schulsport ist ein Problemfall für sich. Aber beim Spitzensport geht es zuallererst um Öffentlichkeit und Publicity. Und momentan ist die Botschaft die falsche.

Daher: Weg mit der Geschlechtstrennung! Weg mit Paralympics!

Ich bin mir sicher, dass – gerade in den Mannschaftssportarten – auch Frauen in gemischten Ligen und Mannschaften reüssieren werden. Und sicherlich auch einige von denen, die nach gängiger Definition als „behindert“ gelten.

Ich warte auf den Tag, an dem sich ein Sportler zwei gesunde Beine amputieren lässt, weil Prothesen besser sind. Warum denn auch nicht?

Es mag sein, dass sich Menschen (beiderlei Geschlechts) in gemischten Mannschaften unwohl fühlen, dass sich manche Menschen einen geschützten Raum wünschen, in dem sie unter Ihresgleichen sind. Das ist auch völlig legitim. Aber eben nicht im Spitzensport. Im Leistungssport geht es um öffentliche Darstellung, um ständige Beobachtung, letztlich um Unterhaltung für die Massen. Da sind Schutzräume in meinen Augen fehl am Platz.** Weil sie nichts mit Wettkampf zu tun haben. Weil sie Menschen ausschließen. Weil sie eine falsche Botschaft senden. Weil sie den Betroffenen eher Mitleid als Anerkennung verschaffen. Oder blanken Hohn.


* Gewichtsklassen beim Boxen und Konsorten seh ich übrigens auch nicht ein.

** Von dieser generellen Aussage abgesehen halte ich Sammelduschen und -umkleiden für eine sehr archaische Sache, die im Grunde nicht in unsere Zeit passt.

Von Fotos und Farben

Paul Hansen steht in der Kritik. Er hat den World Press Photo Award gewonnen und eine Diskussion darüber ausgelöst, wie „manipuliert“ ein Foto sein darf. (Auf extremetech.com gibts dazu technische Analysen.)

Jens Kriese wirft Hansen zumindest eine „Bearbeitung“ vor.

Nun, ich will kurz meine Meinung dazu kundtun.

Soweit ich als Amateurfotograph die Materie verstehe, geht es hier nicht um „Bearbeitungen“, sondern um Entscheidungen. Auf dem Weg vom Motiv zum Foto muss die Fotographin oder der Fotograph Entscheidungen treffen: Belichtung, Farbtemperatur, Kontrast etc. Früher wurden diese Entscheidungen zum Zeitpunkt der Aufnahme (oder bereits bei der Wahl des Films) und im Labor getroffen, heute mehr und mehr und Computer.
Trifft man diese Entscheidungen als Fotograph nicht selbst, macht es die Kamera. Getroffen aber werden die Entscheidungen in jedem Fall. Es gibt keine „Aufnahmen mit unbearbeiteten Farb- und Helligkeitswerten“, bestenfalls Aufnahmen mit vom Menschen unbearbeiteten Farb- und Helligkeitswerten. Und es ist mit Verlaub nicht besser, die Entscheidung über Belichtung und Farbeindruck den Maschinen zu überlassen. Dann müssten die Fotopreise an Kamerahersteller gehen und nicht an Fotograph_innen.

Natürlich können solche Entscheidungen in Fotographien münden, die wir als realistischer oder eben als weniger „realistisch“ ansehen. Aber es ist in meinen Augen Teil des fotograhischen Könnens, hier für das Motiv und die angepeilte Verwendung des Fotos die richtigen Entscheidungen zu treffen: nah an menschlichen Sehgewohnheiten, aber doch mit dem gewissen Etwas.

Hansen ist das in meinen Augen gelungen.

Manipulation fängt für mich da an, wo Bildinhalte entfernt oder eingefügt werden, welche die Bildaussage verändern oder mehr sind als nur ganz geringe kosmetische Eingriffe. Farb- und Helligkeitsentscheidungen sind keine Manipulation.

Ein diffuses Unbehagen

Manchmal, wenn ich blogge, habe ich klare Thesen im Kopf, Argumente zur Hand und einen Gedankengang, den ich nur abzuschreiten brauchen.

Heute habe ich nur ein diffuses Unbehagen.

Ich habe heute zwei Texte gelesen.

Die neuesten Sprachbrocken von Anatol Stefanowitsch und
„Die Wiederkehr der Anstandsdame als intolerante Feministin“ von einem gewissen Don Alphonso.

Anatol Stefanowitsch arbeitet sich dieses Mal an drei Texten „mächtiger weißer Männer“ (er ist übrigens selbst einer) und deren Gejammer ab. Allzu viel Differenzierung braucht er dafür nicht. Denn heute sieht Stefanowitsch in Presse-Erzeugnisssen, die er sonst durchaus locker, humorvoll, manchmal gar wohlwollend kommentiert, nur das Werk mächtiger, weißer Männer, die ihre Privilegien verteidigen; denen alles suspekt ist, was in Richtung Gerechtigkeit geht. Heute wirkt Stefanowitsch fast verbittert.

Weniger verbittert, eher geschichtsunvergessen und visionär zugleich gibt sich Herr Alphonso.
Durch die Geschichte hindurch habe sich die Entwicklung der Sexualmoral sehr geradlinig vollzogen: hin zu mehr Freiheit. Was früher verpönt war, ist heute erlaubt.
Doch jetzt treten Feministinnen auf den Plan, drehten die Lauf der Geschichte um und was heute erlaubt ist, ist schon bald verboten. Und vielleicht auch verpönt.

Manchmal regen mich Texte regelrecht auf, manchmal frühe ich Hass, manchmal zerreiße ich jedes Wort schon beim Lesen.

Diese beiden Texte haben nur ein diffuses Unbehagen hinterlassen.

Was ihnen größtenteils fehlt, sind Argumente.

Was beiden gemein ist, ist ein ausgeprägtes Lagerdenken: Freund und Feind. Wir sind die Guten. Die anderen sind die Bösen.

Wir sind die Avantgarde. Wir haben Recht. Die anderen nicht.

Argumente braucht man dafür natürlich nicht. Die hat die Gegenseite ja per definitionem nicht. Für Stefanowitsch ist der Grund des Übels die Geburt – weiß und männlich! – und das vermeintliche Motiv: Sie sind mächtig und wollen ihre Privilegien verteidigen!

Alphonso interessiert sich gar nicht für die Beweggründe seiner (vermeintlichen) Feindinnen. Sie wollen ihm an die Freiheit! Also weg mit ihnen!

Mir geht es hier gar nicht um die Inhalte. Die sind bei beiden – im Guten wie im Schlechten – diskutabel.

Aber die Art ihrer Präsentation hinterlässt einen unguten Nachgeschmack.

Stefanowitsch ist für Gerechtigkeit und gegen Ausgrenzung. Aber wie das genau aussehen soll, erfahren wir nicht. (Der Vorwurf ist gegenüber einem so kurzen Text natürlich unfair. Aber ich lese ziemlich regelmäßig, was er schreibt. Und in seinem Gesamtwerk findet sich dazu zwar durchaus etwas, aber den ganz großen Wurf vermisse ich.)

Alphonso ist für Prostitution und Pornographie. Warum, erfahren wir nicht.

Es liegt ja schließlich auf der Hand. Denn die, die beides nicht wollen, sind ja Moralapostel und Gutmenschen.

Wenn man mal darüber nachdenkt, was das eigentlich sein soll, dann kommt bald der Gedanken: Es heißt gar nichts.

Moralapostel und Gutmenschen – das könnte ich durchaus in mein Diskussionsglossar aufnehmen – das sind doch letztendlich nur „diejenigen, die vehement einen anderen Lebensentwurf predigen oder auch nur leben“. „Gutmenschen“ und „Moralapostel“ sind nichts anderes als hämisch-verhöhnende Wörter für „Vertreter_innen der Gegenseite“.

Ich bin nicht so naiv, jetzt zu fordern „Bringt doch lieber gute Argumente! Wer die besseren hat, überzeugt die anderen und am Ende steht die beste Lösung für alle!“
Gesellschaftlichen Strömungen entstehen nicht durch Argumente. Argumente entstehen „mit“, sie werden in Strömungen und mit ihnen entwickelt, wirken als Katalysator, helfen die eigenen Leute bei der Stange zu halten und Menschen am Rand des Stromes mitzureißen.

Und gesellschaftliche Strömungen schlagen sich nicht dann in gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und Strukturen nieder, wenn die Argumente gut genug sind. Darüber entscheiden viele andere Faktoren.

Aber: Gruppierungen, Strömungen, Denkschulen oder auch Einzelmeinungen – sie alle haben ein Ziel, einen Leitgedanken, ein Ideal, eine Utopie: eine Vorstellung davon, wie Gesellschaft „richtig“ geht, wie es „richtig“ aussehen müsste. Und sei diese Vorstellung noch so diffus.

Warum aber lesen wir davon so selten?

Warum lese ich allzu oft „Schaut her! Die anderen sind dagegen! Schaut euch an, wie dumm, böse, feindselig, merkbefreit und egoistisch die sind!“ oder „Wir wissen ja, dass wir die Avantgarde sind! Pech für den Rest, wenn die nicht dazugehören!“

Warum lese ich so selten, wofür ihr denn eigentlich seid? Wie ihr euch eine Gesellschaft mit Freiheit, Gerechtigkeit und „Werten“, ohne Hass, Diskriminierung und falsche Moral eigentlich vorstellt?

Und wenn ich darüber so nachdenke und mir ins Gedächtnis rufe, worüber ich so alles schon gebloggt habe und worüber nicht, dann denke ich: Ich muss mir hier an die eigene Nase fassen. Vielleicht daher auch mein diffuses Unbehagen.

Schneeschwades Diskussionsglossar

Die Debattenwellen wogen, die Flammen der Diskussion lodern und im Gewirr der Meinung verschafft sich Gehör, wer am lautesten schreit.

Und wenn man hinhört, wenn man dem Geschrei zuhört, dann hört man allzu oft dieselben Satzfetzen. Mächtige Begriffe, scharfe Adjektive, kühn konstruierte Zusammenhänge – und letztlich doch nur abgedroschene Phrasen.

Und diese Phrasen sind selten objektive Wahrheiten und kaum häufiger glasklare Argumente, sondern meist nur schlecht kaschierte, aber umso festgefahrenere persönliche Ansichten.
Wenn wir diskutieren – ich nehme mich da keineswegs aus, gaukeln wir Objektivität vor, verdammen mit scharfen Worten die Gegenseite, tun so, als würden wir deren Argumente zerlegen – in Wahrheit treffen wir nur nur ganz subjektive Aussagen.

Ich will dem ein wenig abhelfen.

Ich habe daher – ganz subjektiv und polemisch – typischen Diskussionsfetzen gegenübergestellt, was damit wirklich gemeint ist.

(All das bezieht sich nicht auf irgendeine aktuelle Debatte und schon gar nicht auf Argumentationsmuster bestimmter Menschen, sondern ist generell gemeint.)

„oberflächlich!“ „Aspekte, die ich für wichtig halte, sind nicht berücksichtigt.“
„wirr!“ „Ich verstehs nicht.“
„geschichtsvergessen!“ „Eine historische Analogie, die ein gutes Argument für meine Meinung ist, wird nicht erwähnt.“
„tendenziös!“ „Es wird eine Meinung vertreten, die ich nicht teile.“
„Propaganda!“ „Es wird lautstark eine Meinung vertreten, die ich nicht teile.“
„Es gibt größere/andere Probleme!“, „Solange wir sonst keine Probleme haben!“ „Ich setze andere Prioritäten.“
„keine Ahnung!“, „Halbwissen!“ „Fakten, die ich für wichtig halte, werden nicht erwähnt.“
„Verschwörungstheorie!“ „Die vorgebrachte Meinung ist hinsichtlich der behaupteten Zusammenhänge ziemlich weit weg von meiner Sicht der Dinge.“
„eine unpolitische Ansicht!“ „Eine politische Ansicht, die ich nicht teile.“
„übersimpfliziert!“, „zu stark vereinfacht!“, „Reduktionismus“ „Aspekte, die ich für wichtig halte, werden weggelassen.“
„Relativierung!“ „In meinen Augen ist das Phänomen dramatischer.“
„Kampagne!“ „Es stehen ziemlich viele und/oder einflussreiche Leute gegen meine Meinung.“
„Derailing!“, „Ablenkungsmanöver!“, „Nebelkerzen!“ „Es wird gerade nicht über das diskutiert, worüber ich gerne diskutieren würde.“
„verzerrte Darstellung!“, „suggestiv!“, „manipulativ!“ „Es wird rhetorisch geschickt eine Gegenmeinung vertreten.“

Lasst uns über Machtstrukturen reden

Der „Aufschrei“ ist noch immer zu hören und so langsam wird aus dem Schrei eine Debatte. (Anfangs waren es nur Meinungsäußerungen mit ähnlichem Tenor, jetzt sind auch andere Stimmen zu hören. Etwa Das Schreien der Lämmer von „Frau Meike“ oder auch Thomas Stadler, der (nicht ganz überraschend) in all dem Tumult nur den blinden Herdentrieb sieht, der Tendenz- und Kampagnen-Journalismus hinterher trottet.)

Ich will kurz auf einen Aspekt eingehen, der in meinen Augen zu kurz kommt, bzw. gar nicht beachtet wird.

Vorher muss ich allerdings Allgemeines zum Thema loswerden:

1. Der Aufschrei ist richtig. Je früher übergriffiges und belästigendes Verhalten aus unserer Welt verschwindet, desto besser.

2. Sexismus und sexuelle Belästigung sind in meinen Augen nicht das gleiche. Es mag dieselbe Wurzel haben, aber ein Verhalten, das sich gegen alle Angehörigen eines Geschlechts richtet (~Sexismus), ist nicht gleichzusetzen mit Taten und Worten gegenüber Menschen (bzw. Frauen), die man(n) als attraktiv empfindet und gegenüber denen man glaubt, ein Besitzrecht zu haben. In der Debatte geht es um Beides, aber eher um Letzteres.

3. Eine ernst gemeinte und ganz praktische Aufforderung. Allenthalben ist zu hören „Wir brauchen eine Debatte darüber, was in Ordnung ist und was nicht.“ – Dann fangt doch bitte endlich mal damit an! Macht doch einfach Listen und schreibt, was ok ist und was nicht, liebe Frauen. Mit allen möglichen Beispielen, die gerade so durch den Raum schwirren: Was geht noch? Was geht nicht? Wenn es genug solcher Listen gäbe,  käme die Debatte wirklich voran und wir könnten klarer sehen. (Falls gewünscht, kann ich natürlich auch aus meiner männlichen Sicht eine solche „Ok/Nicht-Ok-Liste“ machen.)

Jetzt aber zum eigentlichen Punkt.

„Lasst uns über Machtstrukturen reden“, twittert Maurizio Cavaliere (@macava) und bringt es auf den Punkt.

So endet der (erste?) SPON-Artikel zum Thema.*

Ja, lasst uns über Machtstrukturen reden.

Ich glaube, dass es außer Frage steht, dass Männer insgesamt und im Schnitt in Deutschland mehr Macht besitzen als Frauen. Sie sitzen überproportional in Regierungen, Parlamenten, Vorständen, Aufsichtsräten und auf Professuren, haben die populären Sportarten fast für sich und prägen gesellschaftliche Debatten häufiger als Frauen. (Ob man diesen Zustand nun „Patriarchat“ nennen sollte oder nicht, ist eine müßige Frage. In meinen Augen ist es das falsche Wort, weil es einen wesentlich krasseren Zustand beschreibt. Wir reden in Deutschland von zahlenmäßigen und wohl auch gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten. Vor dem Gesetz aber sind die Geschlechter gleich. Theoretisch und in Einzelfällen auch praktisch stehen Frauen sämtliche Aufstiegschancen offen. Das ist in „echt“ patriarchalischen Gesellschaften und Staaten anders. Aber die Diskussion um Begrifflichkeiten führt zu nichts.)

Nun heißt all dies allerdings nicht, dass jeder Mann mächtig und jede Frau machtlos ist. Ich warne davor, ob der Sexismus-Debatte andere, vielleicht wichtigere, Machtstrukturen, Kungeleien und Seilschaften zu ignorieren. Es mag wahr sein (wenn auch etwas vereinfacht), dass Männer häufiger aufgrund ihrer „Netzwerke“ auf mächtige Posten gelangen und dort angekommen glauben, alle hübschen Frauen gehörten ihnen. Aber es gelingt bei Weitem nicht allen Männern, weit nach oben zu kommen. Wir sollten eher darüber reden, dass die Falschen aufgrund der falschen Fähigkeiten („Networking“) nach oben kommen.

Denn sexuelles Dominanzverhalten ist in meinen Augen weniger eine Sache des Geschlechts als eine Frage der Persönlichkeit. Wer einem Schuldigem also weniger dessen Taten vorwirft, sonder die Tatsache, dass er ein Mann ist, hilft letztlich den Chauvinisten: „Ich bin ein Mann, ich bin nun mal so!“ Die Front sollte zwischen der Minderheit, die sexuelle Belästigungen für akzeptabel hält, und der Mehrheit, die das anders sieht, verlaufen. Und nicht zwischen Männern und Frauen.

Denn ansonsten stünde hier nicht eine (hoffentlich sehr kleine) Minderheit gegen eine Mehrheit, sondern es würden Menschen, die dort nicht hingehören, auf die Feindseite gedrängt, sodass sich letztlich zwei in Etwa ähnlich große Gruppen gegeneinander stünden.

Und damit sind wir schon beim letzten Punkt angelangt.

Es gibt ziemliche Frauen in Deutschland.

Macht ist kein Bit, das nur den Wert 1 oder 0 annehmen kann. Es gibt nicht nur „mächtig“ und „machtlos“. Macht ist eine diffuse, volatile und vor allem nuancierbare Angelegenheit. Sie kennt sehr viele Zwischenstufen.

Liebe Frauen, die ihr euch (allzu oft sicherlich zurecht) ohnmächtig und ganz unten fühlt: So machtlos seid ihr nicht!

Allein die Tatsache, dass es nur eines kleinen Auslösers und weniger Tage bedurfte, bis der Aufschrei kam, bis Medien den Schrei hörten und aufgriffen, bis eine Debatte entstand, bis auch viele Nicht-Betroffenen Partei ergriffen, zeigt doch, wie viel Macht die von Sexismus und Belästigung Betroffenen haben.

Revolutionen, Aufstände, Umstürze – das zeigt die Geschichte – gingen immer von denjenigen Unterdrückten aus, die mächtig genug waren für die Tat, aber in ihren Augen nicht mächtig genug.

Bitte nicht falsch verstehen: Ich sage das gar nicht, um das Anliegen zu delegitimieren oder zu diffamieren. Ich will zu bedenken geben: Ihr habt Macht! Ich hoffe, ihr wisst sie richtig zu nutzen.

Und – so wichtig es ist, sich dem Anliegen der aufschreienden Unterdrückten anzunehmen – wir sollten nicht vergessen: Den Aufschrei der wirklich völlig Machtlosen, den hören wir nicht. Per definitionem. Hörten wir ihn, wären sie nicht völlig machtlos.

* Edit: Link auf Tweet von mir. Nicht im Original.